Heimat Schweiz
Heimat Schweiz
Für jeden persönlich ist das, was er macht, so normal, dass für ihn kein Anlass besteht, sein Tun zu hinterfragen. Schliesslich muss man dort arbeiten, wo die Arbeit heute ist und wo sie gut bezahlt wird. Dafür jobt man und richtet sich ein. Der Arbeitsweg und der Stau vor jeder Kleinstadt geben die willkommene Gelegenheit, zwischen Arbeit und Zuhause einen Puffer zu haben. Vor lauter Normalität, ist uns gar nicht mehr bewusst, in welchem Umkreis wir uns im Alltagsleben bewegen. Erst die Anschläge in New York, Flugzeugabstürze und Tunnelschliessungen bringen die Gewöhnlichkeit des Mobilitätswahns wenigstens einen Moment ins Wanken. Diskussionen im Bekanntenkreis lassen staunen über Distanzen, in welchen sich jüngere oder ältere Mitglieder von Schweizer Familien bewegen. Europa, Asien und vor allem Nordamerika gehören als Destinationen einfach dazu. Zum Alltagsleben zählen Wohnen, Schule, Beruf, Einkaufen, Hobby, Erholung, Zahnarzt, Spital, Berufsreisen, Freizeit und die Zeit nach der Pensionierung. Die Freizeit zählen wir nicht zu den Ferien, sondern betrachten sie als Ausgleich zum Beruf. Die berufliche Tätigkeit übt man für Lohn und Freizeit aus. Man beansprucht Freizeit wie Naherholungsgebiete, Vereine und Sportstätten. Neben den berufsbedingten und schulischen Reisen werden folgerichtig auch die Freizeitaktivitäten oft und gerne an fernen Orten ausgeübt. Freizeit ist oft genau so stressig und abstrakt wie die Arbeit.
Das Gefühl für Heimat und Landschaft sehr viel mit dem aktuellen Lebenstil zu tun hat. Aus allen Lebenslagen, Orten und Verschiebungen ergeben sich Eindrücke, Gefühle, Kontakte, neue Möglichkeiten und Hoffnungen. Der eigentliche Wohnort, die papiermässig registrierte Wohn- und Schlafstätte, reduziert sich auf eine Heimbasis. Sie ist nicht mehr der einzige Ort, der ungeteilt die Gefühle für Heimat, für Erlebnisse und das ganze persönliche Engagement jedes Einzelnen für sich in Anspruch nehmen kann. Die Milizsysteme der Gemeinden und Vereine könnten aktive Leute gebrauchen. Weil sich der Lebensstil in den letzten Jahrzehnten drastisch verändert hat, kann auch die Landschaft nicht mehr dieselbe sein wie früher.
Die Schweiz hat keine Stadt, die sich mit einer richtig grossen Weltstadt vergleichen liesse. Dank dem Verhalten und dem materiellen Reichtum der Einwohner funktioniert die Schweiz wie eine einzige Stadt. Die früher mehr oder weniger eigenständigen Welten der Dörfer, der Herrschaftsgebiete, der Kleinstädte und der Klöster gingen in der modernen Gesellschaft unter. Diese hat sich mit Steuern und Geld sogar das Landwirtschaftsland und den Wald in ihre Einflusssphäre einverleibt. Von kleineren und grösseren Zentren aus wucherten Häuser und Verkehrsanlagen über die Landschaft des Schweizer Mittellandes. Dank individueller Mobilität und Bewegungsdrang wurden Genf, Lausanne, Bern, Basel, Luzern, Zug, Zürich, Winterthur, Kreuzlingen zu Quartieren einer städtischen Schweiz. Grüne Felder und Wälder wurden zu bezahlten Grünanlagen und Naherholungsgebieten der Wohn- und Schlafregionen. Die charakteristischen Unterschiede zwischen Stadt- und Landleben sind ebenso am Verschwinden wie lebendig-eigenständige regionale Landschaften.