Nicht überall wo Natur drauf steht ist Naturschutz drin

Naturschutz: Weil das Geschäft mit Outdoor blüht gedeiht auch die Natur als Geldmaschine.

Natur, Puur, Outdoor

Alles gilt heute als Natur, was nicht in Gebäuden, im Auto, auf Strassen und in Tunnels geschieht. Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man Radio hört oder Zeitungen liest. Natur umfasst einfach alles, was draussen stattfindet: Wer Rasen mäht, grilliert, Unkraut jätet, mit dem Hund oder allein spaziert oder in einem Park joggt, befindet sich in der Natur. Outdoor wird mit Natur gleichgesetzt. Offenes, nicht überbautes Land gilt als Natur Puur. Wald und Wasser liefern die Höhepunkte für Naturerlebnisse. Alle Nutzer, die Bauern, Förster, Berater, Gärtner, Strassenbauer, Jäger, Fischer, die Verwaltungen bei Bund und Kanton, die Neophytenbekämpfer, Werkhöfe, Unterhaltsequipen und natürlich das Heer der Ökologen und Naturschützer – alle machen sie Natur.

Natur ist Heimat und nicht subventionierte Gleichmacherei

Die gute alte Heimatkunde, wie sie vor 50 Jahren in jeder Dorfschule gelehrt wurde, gibt es heute nicht mehr im Stundenplan. Dorflehrer, die nach Wanderjahren lange an einem Ort ihrer Wahl mit Freude lebten schrieben nach ihrer Pensionierung noch eine Dorfgeschichte, redigierten die Heimatblätter und sorgten für Dorfmuseen. Auch die Schulwege der Kinder sind öde geworden. Damit verblassen heute die ineinander wirkenden, regionalen Kenntnisse über Geschichte, Geologie, Wetter, Boden, Nutzungen, Haustypen und lokale Traditionen. Heimatkunde beschrieb die unmittelbaren Zusammenhänge und machte die Gegebenheiten der Natur am konkreten Ort erlebbar. Jede Gemeinde der Schweiz ist einmalig. Sie hatte eine Natur, die noch nicht unter einheitlichen Nutzungen, Überdüngung, radikale Pflege, globalisierte Gleichmacherei, opportunistische Behauptungen und Förderbeiträge aller Art gestylt und vermarktet wurde. Besonderheiten über Lebensräume, Pflanzen und Tiere werden kaum mehr erkannt, auch dann nicht, wenn sogar noch etwas von ihnen bis heute überlebt hat.

Literaturtyp: Der Aargau. Die Landeskunde von Charles Tschopp. Verlag Sauerländer Aarau, 1968. Antiquarisch. Wer Einblicke in die Natur des Aargaus (heimatkunde) gewinnen möchte, ist gut beraten, dieses Buch zu lesen.

 

Natur ist gewachsene Verschiedenheit

Die Natur (Lebensräume, Wiesen, Wälder, Weiher, Pflanzen und Tiere) sieht nicht an jedem Ort gleich aus. Jedermann kann sich mit einfachen Beobachtungen von dieser Tatsache überzeugen. Sehen sie sich die Pflanzen an einem Nordhang oder Südhang an. Achten sie auf den Untergrund (Kalkstein, Kies, Sandstein) und sie werden Unterschiede in den Lebensräumen erkennen.

Die Naturkunde hat eine wissenschaftliche Basis. Biologie gilt als eine exakte Wissenschaft.

Die Natur, die in unserem eigenen menschlichen Interesse Schutz verdient, ist  konkret (regional). Zu ihrer Erhaltung braucht sie nicht Aktivismus und Detailpläne sondern

  • grosse Flächen, damit sie sich entfalten kann
  • nährstoffarme Flächen ohne Düngung, weil Nährstoffe die Artenvielfalt reduzieren und seltene Arten (durch Verdrängung) zum Verschwinden bringen
  • lange Zeiten mit angepasster, gleichbleibender Nutzung (Landwirtschaft) oder Nutzungsverzicht (Wald)

Den Rest macht die Natur selber.

Literaturhinweis: Hansruedi Wildermuth, 1980: Natur als Aufgabe: Leitfaden für die Naturschutzpraxis in der Gemeinde. Schweizerischer Bunde für Naturschutz. Antiquarisch. Ein Buch, das sie gelesen haben müssen, wenn sie sich mit Natur und Naturkunde beschäftigen wollen: Oft kopiert und nie mehr erreicht.

 

Die Natur ist kein Pflegefall: Viel Irrtum zur Beschaffung von Geld

Weil alles als Natur gilt, was Outdoor stattfindet, weil die Kenntnisse fehlen und die Sehnsucht nach undefinierter Natur zu einem lukrativen Geschäftsmodell wurde, wuchs die Verlockung, die Natur als permanenten Pflegefall zu deklarieren. Die Natur auf der Intensivstation.

Tätigkeiten in der Natur bekommen mehr Akzeptanz und finanzielle Mittel, wenn plakativ mit Angst argumentiert wird. Angst und Sorge öffnet den Menschen, den Politikern und den Verwaltungen den Geldbeutel: Waldsterben, Neophyten, Vogelgrippe, das Aussterben von Arten, das seltener werden der Bauern, Klimawandel, überhaupt Veränderungen müssen vermieden werden.

Weil nicht alle Katastrophen innert nützlicher Frist eingetreten sind (z.B. das Waldsterben hat nicht stattgefunden) müssen immer neue Bedrohungen heraufbeschworen werden. Sonst wird es der schnelllebigen Gesellschaft langweilig. Der Fantasie und dem Unsinn scheinen keine Grenzen gesetzt: Welche aktuellen Probleme (und solche gibt es tatsächlich) hätten wir gelöst, wenn sich die Durchschnittstemperatur (gemessen in 30-Jahresperioden) nicht mehr verändern würde?

Die Natur kennt keinen Stillstand und keine Harmonie. Sie ist unerbittlich. Sie hat enorme und komplexe Mechanismen entwickelt, wie unzählige Arten miteinander leben können. Sie hat sich in Millionen von Jahren vor, dann mit dem Menschen entwickelt. Und – die Prognose sei gewagt – sie wird auch die Menschheit überleben.

Natürlich richtet die Menschheit ein noch nie dagewesenes Chaos in der gewachsenen Vielfalt der Erde an. Daran ändern aber all die geldbringenden Aktivitäten, die in allen Lebensbereichen angeblich zu Gunsten der Natur erfunden, getätigt, zertifiziert und durch Umfragen als sinnvoll bestätigt werden, nichts, oder zumindest nicht viel.

Literaturhinweise: Josef H. Reichholf hat zahlreiche Bücher zu aktuellen Themen verfasst. Alle sind einfach verständlich, lesenswert und animieren zum Denken. Eine Auswahl:

  • Die Zukunft der Arten: Neue ökologische Überraschungen. Verlag C.H. Beck, München, 2005.
  • Stadtnatur: Eine neue Heimat für Tiere und Pflanzen. Oekom Verlag, München, 2007.
  • Eine kurze Naturgeschichte des letzten Jahrtausends. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2007.

 

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